STEINFURTER NACHRICHTEN Donnerstag, 17. November 2005 Bronzeplatte gegen das Vergessen Enkelin der Löwensteins besucht Friedhof Von Gudrun Niewöhner Borghorst. Sie will, dass ihre Großeltern nicht vergessen werden. „Irgendwann sind die Inschriften verwittert und keiner weiß mehr, an wen die Grabsteine erinnern." Renate Toubartz ist aus Köln gekommen. Die 72-jerige hat gestern Nachmittag auf dem jüdischen Friedhof an der Dumter Straße eine Bronzeplatte für Abraham und Karoline Löwenstein aufgestellt — und Blumen niedergelegt. Anschließend traf sie sich mit Vertretern Vertretern der Initiative „Stolpersteine", zu denen die Enkelin der Löwensteins schon vor einigen Wochen Kontakt aufgenommen hatte (die WN berichteten). Und sie erzähite aus dem Leben ihrer jüdischen Familie. Emil Gumprich war Trauzeuge, als ihre Eltern heirateten. Das war 1926. Renate Toubartz zieht aus ihrem schwarzen Koffer eine Kopie der Heiratsurkunde. In Köln, wo sie als Krankenschwester im jüdischen Hospital arbeitete, hatte ihre Mutter, Elfriede Löwenstein, den Gartenarchitekten Hans Meyer kennen und lieben gelernt. Der Bund fürs Leben wurde im Heimatort der Braut, in Borghorst, geschlossen. „Mein Großvater, Abraham Löwenstein, war zu diesem Zeitpunkt schon gestorben." „Oma Borcha", wie die Enkel sie später nannten, lebte an der Emsdettener Straße 10. „Das Haus gehörte nicht uns", ist sich die heute 72- Jährige sicher. „Ich glaube, dass es im Besitz der Gumprichs war." Vermutlich, so die Kölnerin, habe die jüdische Familie zur Verwandtschaft der Löwensteins gehört: „Vielleicht waren wir aber auch nur befreundet." Die Gräber ihrer Großeltern sind auf dem jüdischen Friedhof an der Dumter Straße. Oma Karoline Löwenstein starb im Juli 1938. Mit seiner zweiten Frau hatte Abraham Löwenstein vier Kinder. Das Älteste von ihnen war Karl. „Er hat die Tochter einer ostpreußischen Familie geheiratet und ist auf den Hof dort gezogen " Das weiß seine Nichte aus Erzählungen. Zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern ist er 1938 nach Santiago de Chile ausgewandert. Zu einem ihrer Cousins hatte Renate Toubartz lange Zeit Kontakt: „Bis er im August dieses iahres gestorben ist." Tante Annette, von der Familie nur Nettchen gerufen, heiratete und zog nach Kaiserslautern. Früh wurde sie Witwe. „Obwohl sie ein Visum hatte, blieb sie in Deutschland." Bis heute rätselt die Familie, warum sie damals nicht das Land verlassen hat. Renate Toubartz: „Wir vermuten, dass sie einen Freund hatte, den sie nicht alleine zurücklassen wollte." Tante Nettchen wurde 1944 in Auschwitz vergast. Ihre Tochter überlebte. Rechtzeitig geflüchtet sind Levy Löwenstein und seine Frau, „Mein Onkel ist nach. Shanghai und hatte dort eine kleine Blusenfabrik." Mehr konnte seine Nichte bislang nicht über den jüngeren der beiden Löwenstein-Brüder in Erfahrung bringen. Ihre Mutter, Elfriede, kam im November 1897 in Borghorst auf die Welt. 1920 ging sie an den Rhein, um im jüdischen Krankenhaus eine Ausbildung zu beginnen. Ihr späterer Mann, Hans Meyer, kam auf Wunsch von Oberbürgermeister Konrad Adenauer nach Köln. „Er sollte als Gartenarchitekt -den so genannten grünen Gürtel anlegen", beschreibt Renate Toubartz die Aufgabe ihres Vaters. 1927 und 1928 wurden ihre Brüder Otto und Karl geboren. 1933 sie selbst: „Mem Vater war evangelisch." Trotzdem wurde er wenige Tage nach der Geburt von Renate Toubartz vom Dienst beurlaubt: „Alle Versuche, meine Eltern auseinanderzubringen, waren gescheitert." Die Verschärfung der Judengesetze 1944 verschlechterte auch die Situation der Familie Meyer dramatisch. Die deutsch-jüdischen Mischehen wurden jetzt in die „Endlösung" miteinbezogen. Vor der Deportation rettete Heinrich Küch1er, ein Freund der Familie, die Eltern und ihre drei Kinder. Als Jüngste war Renate Toubartz zwischendurch bei der nichtjüdischen Großmutter väterlicherseits, einer Pfarrerfamilie und in einem Waisenhaus der Diakonissen in Kaiserswerth untergebracht: „Uns haben damals viele Menschen geholfen." Das Ist der 72-jährigen bis heute wichtig. Deshalb wehrt sie sich auch gegen die pauschale Verurteilung der Deutschen. „Damit ich als Elfjährige den Kölner Bombennächten entfliehen und mal wieder durchschlafen konnte haben mich ehemalige Dienstmädchen aufgenommen, die außerhalb wohnten." Nur weil sie alle nicht tatenlos zugesehen und den Mund gehalten haben, hätten sie den Krieg überlebt. Renate Toubartz wird es ihnen nie vergessen. Als ältestes Mitglied der jüdischen Gemeinde von Borghorst ist Renate Toubartz' Mutter Elfriede 1998 im Alter von 100 Jahren in Köln gestorben.