MZ, 10.11.2005 AKTION STOLPERSTEINE "Das waren Judenhäuser" Eine Zeitzeugin erinnert sich an ihre Freundschaft mit Marianne Löwenstein STEINFURT • Sie wünschte, sie wäre älter gewesen, damals. Denn dann könnte sie sich heute an mehr Einzelheiten erinnern. An die Eltern, den Bruder Hans oder daran, welche Schule ihre Freundin besucht hatte. Aber: „Ich war noch ein Kind", erzählt Inge Gözze, die mit der zwei Jahre älteren Marianne Löwenstein befreundet war. Die beiden Mädchen spielten täglich zusammen, „draußen im Hof der Löwensteins". Mariannes Vater Moritz Löwenstein betrieb in seiner Heimatstadt Horstmar einen gut florierenden Schrotthandel, erinnert sich die Zeitzeugin an den großen Knochenberg im Hof. Im benachbarten Haus der Löwensteins befand sich das Lebensmittelgeschäft, das Inge Gözzes Tante gemietet hatte. Die Großmutter arbeitete mit im Laden, Großvater und Onkel auf dem Schrottplatz. Bis zum Jahre 1936: Inge war acht Jahre alt, als „alle raus mussten" aus den Häusern an der Hauptstraße Horstmars, gleich neben dem Brautmodengeschäft. „Das waren Judenhäuser", hieß es damals. Die heute 77Jährige zog mit ihren Großeltern nach Burgsteinfurt an die Wasserstraße, ihre Spielkameradin Marianne Löwenstein zur Münsterstraße 61 (heute Volksbank) nach Borghorst. „Geheimnisse“ Ab diesem Zeitpunkt war „alles sehr geheimnisvoll". Anfangs habe man sich noch gegenseitig mit dem Fahrrad besucht, bis eines Tages der Großvater sagte: „Wir können nicht mehr nach Borghorst, die sind nicht mehr da." Löwensteins seien umgezogen. „Als Kind denkt man nicht so weit", sagt die Zeitzeugin angesichts der vagen Auskünfte. In Burgsteinfurt wohnte Familie Gözze zunächst an der Wasserstraße, zog noch vor Kriegsbeginn um in die Neustraße. Doch auch dieses Haus gehörte einer jüdischen Familie - mit Namen Simons - und auch hier mussten alle Bewohner ihre Wohnungen zwangsweise räumen. Inge Gözze zog erneut zur Wasserstraße. Ihr Blick in die Vergangenheit ist wehmütig. Ob Löwensteins nun Juden waren oder nicht, „darüber wurde bei uns gar nicht geredet." Erst als die Synagogen allerorts in Flammen standen, habe sie die Feindseligkeiten wahrgenommen. Für die Kinder war anderes wichtig: „Wir haben immer nur draußen auf dem Platz gespielt." „Besuch" Einzig Mariannes Bruder Hans „war nach dem Krieg noch einmal in Burgsteinfurt und besuchte das „Arnoldinum." Während sie erzählt, fallen ihr die Details wieder ein. „Es war ein Jubiläumsfest." Und es muss vor 1956 gewesen sein... Vielleicht war es 1953? Dann wäre es entweder die 365-Jahr-Feier nach dem ursprünglichen Gründungsjahr 1588 gewesen, oder aber die 100-Jahr-Feier nach der Neugründung der Schule 1853. • Beate Kater Bisherige Daten: Marianne wurde mit ihrem Vater Moritz Löwenstein 1942 nach Riga deportiert, beide gelten als „verschollen". Letztes Lebenszeichen Mariannes: „1.10.1944 in Stutthof angekommen." Die Mutter starb 1935, ihr Grab befindet sich auf dem Borghorster Friedhof. Hans Löwenstein hat vermutlich in Frankreich im Widerstand gekämpft, kam nach dem Krieg kurz zurück. Über weitere Hinweise oder Dokumente freuen sich Josef Bergmann, (0 25 52) 20 42 oder Dr. Friedrich Reinmuth, (0 25 52) 13 41. www.stolpersteine-steinfurt.de