Eine orangefarbene Rose für jeden Dienstag, 20. Juni 2006 | Quelle: Westfälische Nachrichten (Steinfurt) Von Gudrun Niewöhner Borghorst. Hella Händler hat Tränen in den Augen. Das gerade Erlebte bewegt sie. Die 82-Jährige legt orangefarbene Rosen auf die Steine mit den zehn Mal zehn Zentimetern großen Kupferplatten. Für Juden kein üblicher Brauch. Doch die Berlinerin will die Gedenktafeln an diesem Tag schmücken. So lange hat sie auf diesen Moment gewartet. Die ersten 17 Stolpersteine, die der Kölner Künstler Gunter Demnig in Borghorst verlegt, erinnern unter anderem an ihre Eltern Erna und Leopold Simon. Aber auch an Oma Bertha Gumprich und Onkel Julius. Die Familie gehörte zur jüdischen Gemeinde in Borghorst bis die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Hella Händler konnte als eine der wenigen ihrer Familie den Nazis entkommen mit einem Kindertransport nach England. Zur Verlegung der Steine ist sie eigens angereist, zusammen mit ihrer Schwester Ursula Rosenfeld, die heute in Manchester lebt, und Enkelin Kathi Beier. Diese bedankt sich vor dem Heimathaus im Namen ihrer Großmutter und Großtante bei den Mitgliedern der Initiative Stolpersteine für deren persönliches Engagement: Neben den großen Gedenkstätten sind gerade diese kleinen Mahnmale ein wichtiges Zeichen. Wie aufs Stichwort fährt in diesem Moment der Künstler Gunter Demnig mit seiner Lebensgefährtin und Koordinatorin des Projektes, Uta Franke, in einem roten Minivan vor. Demnig selbst verliert nicht viele Worte. Mit Gummihammer, Kelle und Handfeger macht er sich ans Werk. Technischer Beigeordneter Reinhard Niewerth hilft beim Aufnehmen der roten Pflastersteine vor dem Haus Nikomedesstraße 1. Der graue Schotter muss raus, dann passen auch schon die beiden ersten Stolpersteine. Demnig arbeitet konzentriert, nur auf Zuruf schaut er kurz in die Kamera. Der Schweiß rinnt ihm von der Stirn. Knapp 20 Minuten, dann ist Demnig am ersten Verlegeort fertig. Die Gäste, unter ihnen auch Bürgermeister Andreas Hoge, gehen weiter zum Haus der Familie Hertz (heute Schwanen-Apotheke). Die Angehörigen der Gumprichs haben nicht nur für ihre Familie Blumen besorgt. Auch für die Hertz, die Eichenwalds und die Heimanns hat Kathi Beier kleine Sträußchen dabei. Während der Künstler die Stolpersteine vor den vier Häusern in den Boden setzt, stellen Mitglieder der Initiative die jüdischen Familien vor. Wenn noch Zeit ist, trägt Angelika Scho Gedichte vor unter anderem von Rose Ausländer und Erich Fried. Über 8000 Steine in mehr als 160 Städten und Gemeinden hat Gunter Demnig bereits verlegt: Alle zwei Tage kommt ein neuer Ort hinzu, sagt Uta Franke. Die Borghorster haben sich deshalb schon mal vormerken lassen für einen zweiten Verlegetermin. Voraussichtlich im Juli 2007. Die dritte Station ist die Baulücke auf der Alten Lindenstraße. Für Else, Grete, Anni und Rosa Eichenwald lässt der Künstler hier einen Stolperstein ein. Anschließend geht die Gruppe zur Villa Heimann. Riesige Porträts der Familienmitglieder hängen in den zugemauerten Fenstern. Bill Heimann hat mit 91 Jahren am Sonntagabend ein kurzes Grußwort an Dr. Heinrich Soddemann geschickt, mit der Bitte, dieses doch vor unserem Haus zu verlesen. Das grausame Schicksal meiner Eltern lässt mir bis heute keine Ruhe. Ich mache mir ständig Vorwürfe, weil ich ihnen nicht helfen konnte. Während Bill und seine drei Schwestern rechtzeitig geflohen waren, brachten die Nazis seine Eltern Frieda und Albert Heimann im Konzentrationslager um. In nicht einmal zwei Stunden hat Gunter Demnig 17 Steine verlegt. Er wird wiederkommen. Denn in Borghorst gibt es noch weitere jüdische Opfer des Nazi-Regimes. Deren Schicksale sollen in den kommenden Monaten aufgearbeitet werden.