Erinnerung wird erarbeitet Mittwoch, 11. Januar 2006 | Quelle: Westfälische Nachrichten (Steinfurt) -aro- Burgsteinfurt. Liesel Daldrop erinnert sich genau: Das Geburtshaus von Emmy Dreyfuss stand dort, wo heute der Sonderposten-Markt ist. Eine Bombe im Zweiten Weltkrieg hat es ausradiert. Danach lebte sie auf der Moltkestraße 12, bis sie nach dem Abitur zum Studieren auszog. Ihre Mutter, ihre Schwester und ihr Schwager seien dort jedoch abgeholt worden, erinnert sich Daldrop. Wenn Emmy 100 Jahre alt wird, werde ich sie besuchen, das ist ihr Wunsch. Das Speisezimmer von Daldrops dient an diesem Montagnachmittag als Treffpunkt. Einige Mitglieder der Burgsteinfurter Stolperstein-Initiative, Ulla Kunze, Kai Heuing, Gabriele Konermann und Annegret Rose lauschen den lebendigen Ausführungen der klugen Dame. Wie war eigentlich das Miteinander in der Schule zwischen christlichen und jüdischen Kindern?, erkundigt sich Kai Heuing. Also, da gab es nichts Auffälliges. Wir haben bis auf den Religionsunterricht alles gemeinsam gemacht. In meiner Klasse war ein jüdisches Mädchen mit dem Nachnamen Hertz. Wir waren auf der Höheren Töchterschule. Dort unterrichtete uns unter anderem der Lehrer Osterwald, den wir nicht mochten. Er konnte gemein sein. Wir mussten oft am Samstag Arbeiten schreiben, wenn Schabbat, der jüdische Feiertag, war und so musste diese Mitschülerin oft ganz allein nachmittags eine Arbeit nachschreiben. Aber sie ist, soweit ich mich erinnere, schon Anfang der 30er Jahre mit ihren Eltern weggezogen. Heute fällt mir auf, dass wir uns nur in der Schule sahen und dies auch so akzeptiert wurde. Meine Eltern waren sehr gesellig, aber auch sie waren nicht mit Juden befreundet. Irgendwie war das nicht üblich. Auch die Juden wollten, nach meinem Eindruck, unter sich bleiben. Auch nur unter sich heiraten. Liesel Daldrop hält einen Moment inne und schenkt dann wieder Kaffee aus. Das Erinnern ist eine anstrengende Angelegenheit, nicht dass sie es erwähnen würde, doch sogar die Psychologen sprechen von Erinnerungsarbeit. Auf Ulla Kunzes Frage, ob sie sich noch an die Reichspogromnacht erinnere, erzählt sie, wie sie mit ihrer Mutter früh am Morgen, nach dem Kirchgang, noch Brötchen kaufen wollte. Als sie sich dem Stadtzentrum näherten, seien sie sehr erschrocken gewesen. Wo heute Ernstings family sei, habe ein jüdischer Metzger sein Fleisch im Straßendreck wiedergefunden. Das Obst und Gemüse bei dem Geschäft de Vries habe auch auf der Straße gelegen genauso wie die Schuhkartons aus dem Schuhgeschäft der Buchheimers. Auf ihre Mutter, die 30 Jahre lang aktiv im katholischen Frauenbund tätig gewesen sei, sei eine Frau zugelaufen, die rief: Frau Doktor, Frau Doktor (damals wurden auch die Frauen von promovierten Akademikern mit dem Titel angesprochen), so viele Schühchen und meine Kinder haben keine. Kann ich wohl welche mitnehmen? Bevor ihre entsetzte Mutter eine Antwort geben konnte, sei sie von einem SS-Mann angeherrscht worden, sofort zu verschwinden. Liesel Daldrop schluckt jetzt noch, wenn sie sich das Bild der Verwüstung vor Augen führt. Kannten Sie auch Hermann Emanuel? Den Rabbi? Das war ein vornehmer, gebildeter Herr, dem ich öfter auf meinem Schulweg begegnete. Wir grüßten uns immer. Aber persönlich habe ich ihn nicht gekannt. Aber auch seine Adresse wird ausfindig gemacht. Inzwischen ist die Sonne untergegangen und bei Kerzenlicht klingt der Nachmittag aus. Am Dienstag (17. Januar) trifft sich die Gruppe Stolpersteine im Ludwigshaus um 19 Uhr. Liesel Daldrop ist dann auch dabei. www.stolpersteine-steinfurt.de