19.08.2010 08:54 Uhr Packendes Puzzle Hobby-Historikerin erforscht Geschichte der Emsdettener Juden EMSDETTEN Sie wurde in Kommern geboren und machte Emsdetten zu ihrer Wahlheimat. Sie war zweimal verheiratet, hatte drei Söhne. Und sie war eine Großmutter, die ihr Enkelkind 1943 in Auschwitz verlor. Eckdaten eines Lebens, das die Emsdettenerin Luzia Winter nun wie ein Mosaik wieder zusammensetzt. Von Larissa Loges Luzia Winter sucht Zeitzeugen. (Foto: Larissa Loges) Sara Horn hieß eigentlich Maria. Wie viele Jüdinnen musste sie sich aber zur Zeit des dritten Reiches umbenennen lassen. Geboren am 15. Dezember 1873 in Kommern bei Euskirchen, kam sie in jungen Jahren nach Emsdetten, führte einen Tabakwarenladen, ehelichte 1898 den Schneider Gerhard Wilp und bekam die Söhne Alfons, Adolf und Felix. „Sie war eine ganz patente Frau“, meint Luzia Winter und erklärt: „Bei meinen Recherchen zu Juden in Emsdetten stieß ich auf Sara Maria Horn. Ihre Geschichte lässt mich nicht mehr los.“ Recherchen im Stadtarchiv Angeregt wurden die Nachforschungen der Krankenschwester durch die münsterschen Stolpersteine. „Ich habe mich gefragt, warum wir keine in Emsdetten haben.“ Schien es zunächst, als habe es im Dritten Reich keine jüdischen Bürger vor Ort gegeben, stieß Winter schnell auf Alfons Wilp. „Als Sohn von Sara Maria und Gerhard war er Halbjude und wohnte definitiv während des Krieges in Emsdetten.“ Bewahrte laut Winters Recherchen im Stadtarchiv der Schutz des Bürgermeisters Alfons Wilp damals vor Deportation, hatte sein 1901 geborener Bruder Adolf weniger Glück. Mit seiner jüdischen Ehefrau Frieda Meyer entschied er, die gemeinsamen Kinder Hermann und Herbert zunächst nach Holland zu schicken. Letzte Station: Auschwitz Dort sollen sich die Wilp-Jungen mit Anne Frank angefreundet haben, deren Familie sich zeitweise der elternlosen Jungen angenommen haben soll. Als Frieda und Adolf Wilp die Kinder schließlich zurückholen, werden sie bald als „Volljuden“ klassifiziert. „Im Februar 1943 wurde die ganze Familie nach Auschwitz deportiert“, weiß Winter. „Nur der Vater Adolf und sein Sohn Hermann überlebten, kehrten kurz zurück nach Emsdetten. Frieda und der 15-jährige Herbert starben im Konzentrationslager. Eine Geschichte, die Winter berührt: „Es waren unsere Mitbürger. Emsdettener wie ich.“ Nach dem Krieg kehrte Sara, beziehungsweise Maria 1946 nach Emsdetten in die Heimat ihres ersten Mannes und ihres Sohnes Alfons zurück. Nach dem Tod Gerhard Wilps war sie 1922 zunächst in ihre Heimat Kommern zurückgekehrt, um dort 1923 ein zweites Mal zu heiraten. "Mich interessiert, was hier vor Ort passiert ist" „Als sie den Bäckermeister Wilhelm Rütter ehelichte, war sie 50 Jahre. Als er starb, kam sie wieder hierher“, erzählt die 49-jährige Luzia Winter. Sara Maria Rütter lebte kurzzeitig bei ihrem Sohn am Wasserturm, zog dann zur Schulstraße und in die Hedwigstraße, bis sie mit 79 Jahren in einem Stift des Franziskus-Ordens starb. „Mich interessiert vor allem, was hier vor Ort passiert ist“, konstatiert die Mutter eines Sohnes. „Ich möchte wissen, ob jemand Kontakt zu Maria Rütter oder Sara Rütter, verwitwete Wilp und geborene Horn hatte.“ Auch Zeitzeugen, die die Söhne Alfons, Adolf und Felix oder die Enkel Hermann und Herbert kannten, werden von der Hobby-Historikerin gesucht. Aufzeichnungen fürs Stadtarchiv Für das Stadtarchiv in Emsdetten will sie ihre Aufzeichnungen festhalten. Auch eine Mahnmal-Idee für die jüdische Familie Horn-Wilp hat Winter bereits: „Eine Straße mit dem Namen Sara Maria Horn fände ich großartig. Immerhin ist Maria die Mutter von Alfons, der nachgewiesen im Dritten Reich hier lebte. Und sie ist zurückgekehrt und in Emsdetten verstorben.“ „Es sind viele Informationen. Teils etwas verworren. Aber ich werde die Geschichte Stück für Stück zusammentragen“, verspricht die Rechercheurin: Es ist ein großes Puzzle. Ein Puzzle gegen das Vergessen. Juden im Münsterland Den Widerstand im Münsterland portraitiert unter anderem der Film „Unter Bauern – Retter in der Nacht“. Stars der deutschen Filmbranche wie Armin Rohde und Veronica Ferres spielen darin die Geschichte der jüdischen Familie Spiegel. Regisseur Ludi Boeken hat die wahre Lebensgeschichte Marga Spiegels verfilmt: Mit ihrem Mann Siegmund und ihrer Tochter Karin floh Marga Spiegel aus Angst vor der Deportation im Jahr 1943 zu Bauern im Münsterland. Oft musste die Familie ihre Unterkunft wechseln, pendelte zwischen fünf verschiedenen Familien hin und her. Der Film skizziert den Mut der Bauern – trotz Androhung der Todesstrafe – Juden auf ihren Höfen zu verstecken. Mit ihrem Buch „Retter in der Nacht“, einem Überlebensbericht voll Dankbarkeit gegenüber Gott und denen, die sie in Todesgefahr bewahrten, lieferte Spiegel die Vorlage für den Film.