Mein Vater ist Ernst Eichenwald Samstag, 23. Dezember 2006 | Quelle: Westfälische Nachrichten (Steinfurt) Von Gudrun Niewöhner Borghorst/San Francisco. Sie ist 72 Jahre alt, lebt in den USA und sie ist die Tochter von Ernst Eichenwald: Eva Leveton. Als Zwölfjährige ist sie 1946 mit ihrer Mutter nach Amerika gegangen. Zum Vater. Bislang verwischten die Spuren der Eichenwalds im Jahr 1954. Davor war die jüdische Familie bekannt in Borghorst. Vater Abraham handelte bis zu seinem Tod 1929 an der Münsterstraße (heute ein Teil des Modehauses Wissing) mit Stoffen. Die Söhne Karl und Ernst flohen Ende der 30er Jahre vor den Nationalsozialisten nach Amerika. Viel mehr war bislang nicht bekannt. Auch über die Tochter von Dr. Ernst Eichenwald fehlten Informationen. Zuletzt soll Eva sich mit Familiennamen Wald genannt haben. Ein wichtiges Stichwort für die Internet-Suchmaschine, mit deren Hilfe die Initiative Stolpersteine nach Angehörigen recherchiert: Eva Wald San Francisco. Da gibt es Hinweise noch und noch. Zehn Seiten spuckt Google aus. Die meisten Links sind nicht zu gebrauchen. Doch ganz unten steht: My life is more paradoxical than most other peoples, says Eva Wald Leveton. She tells her story in Evas Berlin... Das musste sie sein. Das Geburtsdatum passt. Die Geschichte auch. Und nach einigem Suchen gibts sogar eine E-Mail-Adresse. Am anderen Morgen ist klar: Eva Leveton freut sich über das Interesse an ihrem Leben und über die Initiative Stolpersteine: Ich möchte Ihnen natürlich behilflich sein. Ihre Nummer in San Francisco fügt sie an. Am Telefon dann erzählt sie: In Münster 1934 geboren, besuchte Eva Leveton an den Wochenenden oft Großmutter Clara Eichenwald. Mein Vater hing sehr an seiner Mutter. Aber auch sie selbst habe Borghorst und vor allem die Großmutter abgöttisch geliebt: Sie hatte Hühner und außerdem waren dort immer Kinder, mit denen ich spielen konnte. Bis 1938. Plötzlich wurde ich mit Steinen beworfen. Obwohl sie erst vier Jahre alt war, kann sich Eva Leveton noch sehr gut an diesen Nachmittag erinnern: Ich war damals mit den anderen Kindern draußen. Nach dem Berufsverbot für Ernst Eichenwald, Juden durfte ab Oktober 1938 nicht mehr als Ärzte praktizieren, zog die Familie nach Burgsteinfurt: Doch erst nach der Reichskristallnacht befasste sich mein Vater mit dem Gedanken auszuwandern. Bis dahin habe er immer noch gehofft, es werde alles nicht so schlimm werden. Die Pogrome haben ihn aber überzeugt. Zusammen mit seiner Frau Elisabeth und der kleinen Eva flüchtete der Mediziner in die Niederlande. Während Ernst Eichenwald Asyl gewährt bekam, mussten seine Frau und die gemeinsame Tochter wieder zurück: Meine Mutter war evangelisch-lutherisch. Und auch für Eva existierte ein Taufschein: Deshalb erhielten wir keine Aufenthaltsgenehmigung. Mit ihrer Mutter zog Eva Leveton nach Berlin: Dort lebten meine Großeltern mütterlicherseits. Ernst Eichenwald wanderte Anfang 1939 in die USA aus. Sein jüngerer Bruder Karl war bereits nach San Francisco geflüchtet. Eine Anlaufstelle für meinen Vater. In Amerika musste Ernst Eichenwald noch einmal ein Examen ablegen, um als Arzt arbeiten zu dürfen. Er wurde Chirurg mit eigener Praxis. 1946, nach Ende des Krieges, war für Elisabeth Eichenwald klar, sie würde mit der Tochter ihrem Mann folgen. Alle haben damals geglaubt, ich müsste mich freuen, meinen Vater endlich wiederzusehen. Doch für die mittlerweile Zwölfjährige war der Umzug in die USA nicht leicht: Ich kannte meinen Vater gar nicht richtig. Zudem zeigten die Amerikaner nicht viel Verständnis für deutsche Emigranten. Viel Zeit blieb der Familie in der neuen Heimat nicht: 1951 starb mein Vater an Krebs. Die Mutter, eine Alkoholikerin, beging drei Jahre später Selbstmord. Onkel Karl lebt seit den 50er Jahren nicht mehr. Zusammen mit seiner Frau Ruth hatte er die Zwillinge Caroline und Barbara. Barbara ist heute in Nevada zu Hause. Zu ihrem Neffen Dennis hat Eva Leveton engen Kontakt. Die 72-Jährige wohnt mit ihrem Mann in San Rafael. Sie haben zwei Söhne. In dem Buch Evas Berlin hat die studierte Psychologin ihre Erinnerungen an eine bewegende Kindheit als Halbjüdin aufgeschrieben. Noch heute hält Eva Leveton Vorträge oft in Deutschland: In Borghorst war ich jedoch nie wieder. Wenn am 25. April die Stolpersteine für ihren Vater sowie für Ruth und Karl Eichenwald verlegt werden, will sie dabei sein. Dann kommt sie zum Haus ihrer Großeltern. Das erste Mal nach fast 70 Jahren.|Leveton, Eva: Evas Berlin. Memories of a Wartime Childhood. Fairfax, California 2000.