Von Altenberge ins Ghetto nach Riga Samstag, 06. August 2005 | Quelle: Westfälische Nachrichten (Steinfurt) Von Gudrun Niewöhner Borghorst/Altenberge. Was er an dem Abend gesehen hat, ist Eugen Zurholt erst viel später bewusst geworden. Jahrzehnte später, als er längst erwachsen war und anfing, sich näher mit der Geschichte seines Heimatortes Altenberge zu beschäftigen. Es war 1941, nach 19 Uhr, der 75-Jährige kann sich noch gut erinnern. Als er mit seinem Vater einen Riegelpfahl setzen wollte, kam plötzlich Albert Heimann, der jüdische Viehhändler aus Borghorst, über den Acker auf sie zugelaufen. Zusammen mit 50 anderen Juden war er in dem Spieker auf dem Hof Geuker einquartiert als Zwangsarbeiter. Ein Kapitel Heimatgeschichte, über das bislang nur wenig publiziert wurde, weil sich nur wenige erinnern. Der damals Elfjährige hat ihn sofort wiedererkannt: In den Jahren vorher war Albert Heimann oft bei uns gewesen. Eugen Zurholt ist auf dem Hof Hersping in der Altenberger Bauerschaft Kümper aufgewachsen. Der Besuch des Viehhändlers war da nichts Besonderes: Er wurde beim Handeln immer so laut, beschreibt er Heimann. Das habe aber wohl an dessen Temperament gelegen, denn sein Vater und Heimann hätten sich gut verstanden. 1936, Eugen Zurholt spielte mit seiner kleinen Freundin Hannelore auf dem Hof, kam der Borghorster Viehhändler auch vorbei. Wir hatten Angst, weil wir nicht wussten, was zwischen ihm und meinem Vater gerade passierte. Doch die beiden feilschten nur. Fünf Jahre später kam es zu einer Begegnung, die Zurholt bis heute nachdenklich macht: Mein Vater und ich waren fast fertig mit unserer Arbeit, da sahen wir beide Albert Heimann kommen. Sofort wurde der Junge nach Hause geschickt. Zeugen konnte mein Vater in dieser Situation anscheinend nicht gebrauchen, versucht Zurholt die einzelnen Mosaiksteinchen der Geschichte zusammenzutragen. Wie er von seinen Geschwistern weiß, hat Vater Joseph Zurholt danach heimlich zu Hause ein Huhn geschlachtet und es Albert Heimann mitgegeben. Wahrscheinlich hat er ihm wiederholt Essen zugesteckt, vermutet der Sohn. Bei anderen Bauern haben die Juden nach Kartoffeln gefragt. Zurholt: Sie hatten Hunger. Albert Heimann und 50 weitere Juden waren während dieser Zeit in dem alten Spieker auf dem Hof Geuker in Altenberge untergebracht. Sie mussten die Steinfurter Aa begradigen. Das haben Zurholts Nachforschungen ergeben. Und auch ein Regenrückhaltebecken mussten die Juden ausgraben. Harte körperliche Arbeit. Der Speicher als eine Art Zwischenlager für die Juden, nur in der direkten Nachbarschaft des Hofes war das bekannt. Auch nach dem Krieg hat keiner in Altenberge darüber gesprochen. Zurholt wollte jedoch mehr wissen und hat Zeitzeugen befragt: Einige meinen sich zu erinnern, dass rings um den Speicher ein Zaun gezogen war. Doch es gibt widersprüchliche Aussagen. Sicher weiß der 75-Jährige, dass die Juden nach einem Jahr in der Nacht vom 14. auf den 15. Dezember 1941 wieder abgeholt wurden. Zurholt: Dann sind sie nach Riga gebracht worden. Albert Heimann ist von dort nicht zurückgekommen.