Hakenkreuzflagge über dem Rathaus | Westfälische Nachrichten - Für Münster und das Münsterland - 29.01.08 12:53 Hakenkreuzflagge über dem Rathaus Rheine. Vor 75 Jahren, am 30. Januar 1933, ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler. Wie wir heute wissen, war dies der Beginn der Machtergreifung durch die NSDAP, an deren Ende die völlige Ausschaltung der Demokratie, die Außerkraftsetzung aller Grundrechte und die totale Gleichschaltung aller gesellschaftlichen Bereiche im Sinne der neuen Machthaber stand. Wie stellte sich zu diesem Zeitpunkt die politische Lage in Rheine dar? Auch über dem Rheiner Rathaus wehte 1933 die Hakenkreuzflagge. SA-Männerhatten diese gehisst. Quelle:Stadtarchiv Die Stadt Rheine war in ähnlicher Weise von den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise betroffen wie das übrige Deutschland. Dies wird etwa deutlich am Anstieg der Zahl der unterstützungsberechtigten Arbeitslosen von 377 im April 1931 auf 697 zwei Jahre später. Im gleichen Zeitraum sank die Zahl der Baugenehmigungen von 210 auf 88, was verdeutlicht, dass auch die Lage vieler Handwerker sich verschlechterte. Die wirtschaftliche Not war wohl ein wesentlicher Grund dafür, dass viele Menschen sich der NSDAP zuwandten. Die NSDAP hatte in Rheine 1927 eine Ortsgruppe gegründet, die Mitte des Jahres 1931 31 Mitglieder zählte. Als in der nächsten Zeit die Mitgliederzahl stark stieg, wurde die ursprüngliche Gruppe, deren Organisationsbereich die gesamte Stadt und das gesamte Amt Rheine umfasste, Ende 1932 in folgende neue Ortsgruppen aufgeteilt: Rheine-Altstadt mit 80 Mitgliedern, Rheine rechts der Ems mit 70 Mitgliedern und Rheine links der Ems mit 60 Mitgliedern. Dieses rasante Anwachsen der Partei bedeutete aber noch nicht, dass die NSDAP in Rheine bereits zur politisch stärksten Kraft herangewachsen wäre. Bei der letzten Reichstagswahl vor der Übernahme der Reichskanzlerschaft durch Hitler erhielt die Nazi-Partei reichsweit 33,1 Prozent aller Wählerstimmen, in der Stadt Rheine dagegen nur 11,9 Prozent und im Amt Rheine 5,2 Prozent. Die mit Abstand stärkste örtliche Partei war die der katholischen Kirche verpflichtete Zentrumspartei, die bei allen Kommunalwahlen in den Jahren der Weimarer Republik die absolute Mehrheit hatte erringen können. Bei der letzten Kommunalwahl vor der Machtergreifung 1929 hatte die NSDAP in Rheine noch auf die Aufstellung einer eigenen Kandidatenliste verzichtet. Auch auf der Straße kann in dieser Zeit noch nicht von einer Dominanz der NSDAP gesprochen werden. Bemerkenswert ist allerdings die Militanz im Auftreten der NSDAP, die etwa darin deutlich wird, dass die NSDAP mehrfach ihre öffentlichen Umzüge und Kundgebungen zeit- und ortsgleich mit entsprechenden Veranstaltungen der KPD ankündigte, so dass die Polizei nicht immer Schlägereien zwischen den beiden Lagern verhindern konnte. Bei NSDAP-Mitgliedern wurden dabei im Juli 1932 zahlreiche Pistolen und Gummiknüppel sicher gestellt.Am Abend des 30. Januar 1933 nun feierten die Nationalsozialisten in Rheine die Kanzlerschaft Hitlers, als seien sie bereits am Ziel aller ihrer politischen Wünsche. In einem Zug vom Alten Rathaus bis zum Emstor fanden sich neben den Mitgliedern der NSDAP und der ihr angegliederten Organisationen auch die Feuerwehr, mehrere weitere Vereine und Verbände und einige Musikkapellen. Die Zentrumspartei hat offenbar den Ernst der Lage noch nicht erfasst, wenn Amtsbürgermeister Leugermann im Februar auf einer Versammlung im Saal Breckweg in Hauenhorst die Gründung einer eigenen Ortsgruppe für den Amtsbezirk empfahl, um sich aus der Abhängigkeit der Zentrumsgruppe in der Stadt Rheine zu lösen. Im übrigen dominieren in dieser Zeit die Themen Karneval und Grippewelle die lokale Berichterstattung. Sorgenvoller sahen dagegen die beiden örtlichen Arbeiterparteien die Entwicklung auf Reichsebene. Anfang Februar versuchten sie, in Eschendorf einen Einheitsfrontausschuss gegen die NSDAP zu bilden, der aus zwei Sozialdemokraten und zwei Kommunisten bestehen sollte. Die Initiative scheiterte jedoch an der Führungfrage, wie aus einem Polizeibericht hervor geht: „Die SPD wollte die Führung übernehmen, womit sich die KPD nicht einverstanden erklärte. Nach Verlautbarungen eingeweihter Mitglieder der SPD kommt hier am Platze eine Einheitfront zunächst nicht zustande.“ Angesichts der immer noch bestehenden Zerstrittenheit der NSDAP-Gegner war es für die neuen Machthaber um so leichter, die nächsten Etappen der Machtübernahme vorzubereiten. Am 18. Februar 1933 wurde Bürgermeister Schüttemeyer aufgefordert, an das Berliner Innenministerium neben den Führern der örtlichen KPD und deren Nebenorganisationen auch Namen und Anschriften der Führer der sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften zu melden. Die daraufhin aus Rheine und allen anderen Orten des Reiches zusammen getragenen Meldungen waren dann Grundlage der ersten Welle von Massenverhaftungen politischer Gegner, die die Nazis nach dem Brand des Reichstagsgebäudes, den man der KPD anlastete, auf der Grundlage der „Reichstagsbrandverordnung“ durchführten. Weitere Schritte zur Einschüchterung und Ausschaltung politischer Gegner führen dazu, dass im Juli 1933 nur noch die NSDAP als legale Partei existierte. Auf kommunaler Ebene vollzog sich die Machtübernahme der Nazis parallel: Die Zentrumspartei erhielt am 12. März 1933 bei der Kommunalwahl nur noch zwölf von 33 Sitzen im Stadtparlament und verlor damit ihre absolute Mehrheit. Die NSDAP konnte zwar nur sieben Sitze erringen, koalierte aber mit den zehn Stadtverordneten der „Liste 22“, die sich im Wahlkampf noch als überparteilich dargestellt hatte, und war damit schon Teil der Parlamentsmehrheit. Nach dem Anschluss der „Liste 22“ an die NSDAP, der Selbstauflösung der Zentrumspartei, der Zerschlagung der KPD und dem Verbot der SPD gab es dann auch im Rheiner Stadtparlament nur noch Nazis. VON LOTHAR KURZ © Westfälische Nachrichten - Alle Rechte vorbehalten 2008