Steinfurt Borghorst, Bahnhofstraße 14, heute Anton-Wattendorff-Straße:
Auf dem Gehweg vor dem Grundstück erinnern seit Juni 2006 „Stolpersteine“ an die Menschen, die hier lebten. An die Kinder Wilhelm, Ottilie, Antonia und Elsbeth, die ihre Eltern und ihr Heim verlassen mussten. An die Eltern, Frieda und Albert Heimann, die deportiert und in Auschwitz ermordet wurden.
Das 12räumige zweigeschossige Haus, umgeben von einem parkähnlichen Garten, entstand um die Jahrhundertwende. Hier wohnte der seinerzeit wohlhabende Viehhändler Albert Heimann, Träger des Eisernen Kreuzes, Schützenkönig der Bürgerschützen und angesehener Bürger der Gemeinde Borghorst, mit seiner Familie.
Mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft begann die Drangsalierung der jüdischen Familien auch in Borghorst. Die jüdische Familie Heimann wohnte bis zur Pogromnacht 1938 in der Villa.
Die Ermordung und Vertreibung seiner Bewohner, die wechselvolle Geschichte, der besondere städtebauliche Charakter und die sozialgeschichtliche Bedeutung des Hauses fordern dazu auf, sich für den Erhalt einzusetzen.
„Als 6jähriger musste ich mit ansehen, wie die Villa Heimann von Nazis verwüstet wurde.
Man kann heute nicht ohne Gegenrede mit ansehen, wie sie abgerissen wird.“
Zitat Josef Bergmann *1932
Die Initiative Stolpersteine Steinfurt sieht es als ihre Pflicht an, die „Villa Heimann“ als Stätte der Erinnerung und einzigartiges sozialgeschichtliches Denkmal zu erhalten.
„Das grausame Schicksal meiner Eltern lässt mir keine Ruhe.
Ich mache mir ständig Vorwürfe, dass ich ihr Leben nicht retten konnte.“
Eine Botschaft von Wilhelm (Bill) Heimann, verlesen zur Verlegung der Stolpersteine vor seinem Elternhaus im Jahre 2006.
Brief der Nachfahren der Familie Heimann vom 7. März 2014
Von: Claude Heimann [mailto:xx]
Gesendet: Freitag, 7. März 2014
An: Hoge, Andreas
Betreff: Villa Heimann
„Sehr geehrter Herr Bürgermeister Hoge,
Wir schreiben Ihnen als Enkel und Urenkel von Albert und Frieda Heimann, um unsere tiefe Besorgnis auszudrücken über das Vorhaben, unser Herkunftshaus abzureißen.
Uns ist bewusst, dass es gegenwärtig in einem maroden Zustand ist und dringend einer größeren Renovierung bedarf, dennoch steht es für die Bürger von Steinfurt/Borghorst als Erinnerung an die tragischen Ereignisse der 1930er und 1940er Jahre. Diese Geschichte darf nicht vergessen werden, und eine Entscheidung, dass Haus abzureißen, würde unserer Meinung nach im Widerspruch zu den ernsthaften Bestrebungen der deutschen Regierung stehen, sich mit der jüdischen Welt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu versöhnen.
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Weiterhin würde die Entscheidung, das Haus niederzureißen, einen Bruch des Versprechens an unsere Eltern bedeuten, dass alle Anstrengungen unternommen würden, das Haus oder wenigstens die Außenmauern zu erhalten. Unser kürzlich verstorbener Großvater war ein stolzer deutscher Patriot, der das Eiserne Kreuz für seine Verdienste im Ersten Weltkrieg erhielt, für das Land, das er so liebte. Das Haus abzureißen würde eine endgültige Demütigung für ihn und alle unschuldigen Opfer des Dritten Reiches bedeuten, die in Steinfurt/Borghorst vor der Vertreibung durch die Naziregierung lebten. Würde er heute noch leben, würde unser Großvater sicher sehr aufgebracht sein, dass solch ein Vorschlag gemacht worden wäre in eben jener Gemeinde, die er so liebte und in der er eine solch aktive Rolle gespielt hat. Wir sind zuversichtlich, dass das nicht das Vermächtnis ist, das Sie Ihrer Stadt hinterlassen möchten.
Wir glauben, dass eine der Alternativen, nämlich die Außenmauern der Villa zu erhalten und das Innere umzugestalten, Berücksichtigung finden sollte. Diesem Vorschlag würden wir sehr gerne den Vorzug geben. Wir verstehen auch, dass das entstehende Gebäude in eine Feuerwehrwache umgewandelt würde. Dieses Haus für einen solchen Zweck zu gestalten, ist etwas, was wir mit ganzem Herzen fördern, denn Feuerwehrmänner verwenden ihre Energien, um Leben und Eigentum zu retten – ein durchweg angemessenes Denkmal für die Juden von Steinfurt/Borghorst. Wir bitten Sie dringend, diesen Vorschlag zu übernehmen, statt das Gebäude komplett abzureißen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Steven Windmueller, Los Angeles, California, USA
Jo-Anne Hersh, Washington, DC, USA
Claude Heimann, Thornhill, Ontario, Canada
Madeleine Fane, Johannesburg, South Africa
Dr. Cara Hersh, Portland, Oregon, USA
Dr. Lauren Hersh, Philadelphia, PA, USA
Nicole Heimann, Aurora, Ontario, Canada
Marc Heimann, Toronto, Ontario, Canada
Lawrence Fane, London, England“
From: Claude Heimann [mailto:xx]
Sent: Friday, March 7th 2014
To: Hoge, Andreas
Subject: Villa Heimann
„Dear Buergermeister Hoge,
We are writing to you as the grandchildren and great-grandchildren of Albert and Frieda Heimann to express our deep concern about the proposal to demolish our ancestral home.
While we appreciate that it currently is in dilapidated condition and in urgent need of major renovation, it has nevertheless stood as a reminder to the citizens of Steinfurt/Borghorst of the tragic events of the 1930s and 1940s. This history must not be forgotten and a decision to demolish the house would, in our opinion, contravene the serious efforts of the German government to reconcile with the Jewish world since the end of World War 2.
entire letter ↓
Furthermore, such a decision to tear the house down would represent a breach of the promise made to our parents that all efforts would be made to preserve the house or, at least, its exterior walls. Our late grandfather was a proud German patriot, earning the Iron Cross for his efforts on behalf of the country he so loved in World War 1. Tearing down the house would be a final indignity to him and to all the innocent victims of the Third Reich who lived in Steinfurt/Borghorst prior to their expulsion at the hands of the Nazi government. Were he alive today, our grandfather would surely be very upset that such a proposal would be made in the very community he so loved and in which he played such an active role. We are confident that this is not the legacy that you would wish to create for your city.
We believe that one of the options being considered is to retain the exterior walls of the villa and to remodel the interior completely. We would be very much in favour of this proposal. We also understand that the resultant building would be converted into a fire station. Using the home for such a purpose is something we would wholeheartedly encourage since firefighters expend their energies saving lives and properties – an entirely appropriate memorial to the Jews of Steinfurt/Borghorst. So we urge you to adopt this proposal rather than tearing down the building completely.
Yours sincerely
Dr. Steven Windmueller, Los Angeles, California, USA
Jo-Anne Hersh, Washington, DC, USA
Claude Heimann, Thornhill, Ontario, Canada
Madeleine Fane, Johannesburg, South Africa
Dr. Cara Hersh, Portland, Oregon, USA
Dr. Lauren Hersh, Philadelphia, PA, USA
Nicole Heimann, Aurora, Ontario, Canada
Marc Heimann, Toronto, Ontario, Canada
Lawrence Fane, London, England“
Mehr zur Famile Heimann hier →
Beitrag und Interview mit VOIS-TV hier →
VOIS-TV: CDU stellt Strafanzeige gegen Inititative Stolpersteine →
Pressespiegel hier →
Chronik der Villa Heimann
- November 1938: Im Haus leben die Heimann-Geschwister Antonia, Elsbeth und ihre Eltern. Ottilie ist bereits in die USA und Wilhelm nach Johannisburg, Südafrika emigriert.
In der Reichspogromnacht werden Mobiliar und Porzellan zerschlagen und Vorräte vernichtet.
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- 3. April 1939: In einem „Vertrag“ mit der Gemeinde erklärt der ehemalige Besitzer Albert Heimann sich bereit, auf das Wohnrecht zu verzichten – gegen eine Entschädigung von 50 RM pro Monat.
- 15. April 1939: Das Haus ist unbewohnbar geworden. Die Familie zieht in das Elternhaus Albert Heimanns, Münsterstr. 36.
- 16. April 1939: Antonia emigriert über Holland nach England.
- Juni 1939: Elsbeth, 15 Jahre alt, gelangt mit einem der Kindertransporte nach England.
- 18. August 1939: Die Volksbücherei der Nationalsozialisten wird hier untergebracht.
- September 1939: Zu Kriegsbeginn Verkauf von Haus und Gartenflächen über Vorkaufsrecht an die Gemeinde Borghorst.
- 16. April 1940: Auch das Elternhaus Heimann, Münsterstr. 36, geht in den Besitz der Gemeinde über. Als Räumungstermin ist der 1. Mai 1940 festgeschrieben. Gegen Zahlung einer monatlichen Miete von 50 RM gewähren die Behörden Wohnrecht bis zum 1. August 1940. Albert und Frieda Heimann hoffen auf eine Ausreisegenehmigung nach Chile. Sie warten vergeblich.
- 1939-1945: Das Haus ist bis zur Währungsreform der Sitz des Wirtschaftsamtes, bis 1949 Ausgabestelle für Lebensmittel-Bezugsscheine.
- 13. Dezember 1941: Albert und Frieda Heimann werden nach Riga deportiert und 1943/44 in Auschwitz ermordet.
- 1945: Firma Wattendorff erwirbt erneut Villa und Grundstück von der Gemeinde. Es reicht bis zur Neu- und Südstraße und umfasst das Areal rund ums Feuerwehrgerätehaus und Postgebäude
- Nach 1945: Umbau der Villa. Es entsteht eine Werkswohnung für den Wattendorff-Betriebsleiter. Ins Obergeschoss zieht die Abteilung für Design und Entwicklung der Weberei, später kommt das Büro des Betriebsrats hinzu.
- 1952: Die Stadtverwaltung Borghorst beantragt die notwendige Renovierung des Vertriebenenamtes. Der Raum soll dringend einen neuen Anstrich erhalten, da vermutlich „zuletzt vor ca. 15 Jahren tapeziert worden ist …“.
- 1970er Jahre bis Dezember 1991: Die Villa wird erneut umgebaut, mehrere Wohnungen für ausländische Mitarbeiter entstehen. Die letzten Bewohner sind eine portugiesische und eine türkische Familie.
- 4. September 1990: Das Bestreben, die Villa unter Denkmalschutz zu stellen, scheitert. Das Westfälische Amt für Denkmalpflege Münster bemängelt nach 1945 vorgenommene Umbauarbeiten. Es fehlen Stuckelemente sowie Teile des Giebels, auch der Eingang sei verändert. Insbesondere die Veränderung des Daches beeinträchtige das gesamte Erscheinungsbild.
- 17. September 1990: Das Bauordnungsamt der Stadt Steinfurt erteilt die Abbruchgenehmigung, die allerdings 1994 erlischt, da gemäß Bauordnung nicht innerhalb von zwei Jahren mit der Ausführung begonnen wurde.
- 1993: Das Landesdenkmalamt Münster stuft nach erneuter Prüfung die Villa zwar nicht als Denkmal, wohl aber aufgrund der historischen Bedeutung als „erhaltenswert“ ein.
- 2002: SPD-Antrag zum Erhalt der Villa Heimann an die Ratsfraktion
- 2006: Der Künstler Gunter Demnig verlegt vor dem Grundstück „Stolpersteine“ zum Gedenken an die Menschen, für die das Haus einst Heimat war: Albert und Frieda, Wilhelm, Ottilie, Antonia und Elsbeth Heimann.
Die Inititiative Stolpersteine Steinfurt entwickelt Ideen zum Erhalt und Belebung der Villa.
- 2011: Eine mögliche Neu- und Erweiterungsplanung der Rettungs- und Feuerwachen auf dem Gebiet der Villa eröffnet die historische Chance, das Bauwerk erhaltend als funktionalen Teil in die Planung einzubeziehen.
- 2012: Die Villa soll in den Neubau der Feuerwehr integriert werden. Entsprechende Pläne des planungsbeauftragten Büros werden erarbeitet und Fördermöglichkeiten für den Mehraufwand von ca. 100.000€ ausgelotet.
Die Initiative Stolpersteine Steinfurt sammelt Spenden etwa in Höhe der Mehrkosten.
- 15. Mai 2013: Beschluss der Mehrheit des Bauausschusses der Stadt Steinfurt:
Von Villa Heimann bleibt nur eine Ecke stehen. Die Mehrheit folgt dem Vorschlag der GAL, lediglich ein Eckelement der Außenfassade zu erhalten, welches dann als „Gedenkstätte“ fungieren soll. Die GAL wird beauftragt, ein Konzept zur Gestaltung vorzulegen.
- 5. Januar 2014: Obwohl nicht auf der Tagesordnung, beschließt die Mehrheit des Bauausschusses den Komplett-Abriss der Villa Heimann nachdem die GAL vorträgt, dass ihr Vorschlag, eine Gebäudeecke als Denkmal stehen zu lassen, „weder von der Aktion Stolpersteine noch von den anderen Parteien ernsthaft geprüft und gewollt worden sei“.
- 7. Februar 2014: Der Bügermeister der Stadt Steinfurt erklärt den Abrissbeschluss des Bauausschusses nach §48 der Gemeindeordnung für rechtswidrig.
- …
Lage der Villa Heimann in Steinfurt Borghorst
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