Dokumentation Burgsteinfurt
Kurzer Abriss der Geschichte der Juden in Burgsteinfurt bis 1933
Die Geschichte der Juden in Burgsteinfurt ist umfassend wissenschaftlich erforscht und dargestellt in den Schriften von Dr. Willi Feld, auf die wir uns hier stützen.
Ihre Geschichte ist Teil der Geschichte der Juden im Münsterland, weist aber insofern Besonderheiten auf, als die protestantischen Grafen von Bentheim-Steinfurt eine den Juden gegenüber wohlwollende Haltung einnahmen, die zur Bildung einer recht großen jüdischen Gemeinde führte.
Mittelalterliche Hinweise auf Juden im Münsterland gibt es nur spärlich (Burgsteinfurt 1337). Im 14. Jahrhundert wurden sie überall in Deutschland als „Sündenböcke“ während der Pestepidemie nach Osten vertrieben und in Pogromen ermordet.
Erst ab Ende des 17. Jahrhunderts siedelten sich mit Erlaubnis des Grafen die ersten jüdischen Familien in Burgsteinfurt an, im 18. Jahrhundert erfolgte durch Zuzug auch aus größeren Städten eine deutliche Expansion der Gemeinde. Vor allem Graf Karl Ernst von Steinfurt und Bentheim scheint dies im Geiste der Aufklärung stark gefördert zu haben. So ermöglichte er den Bau der Synagoge (1764) und die Anlage des jüdischen Friedhofs am Eingang zum Bagno.
Die napoleonische Herrschaft nach 1800 brachte die weitgehende rechtliche Gleichstellung der jüdischen Mitbürger. Die jüdische Gemeinde wuchs kontinuierlich, ihre Größe betrug 126 Mitglieder im Jahre 1811, sieben Jahre später mit 137 von insgesamt 2149 Einwohnern ca. 6%, 1822 hatte sie 141, 1880 208 Mitglieder, und sie erreichte 1895 mit 227 den Gipfelpunkt; dann wurde sie allmählich (durch niedrige Geburtenzahlen und Abwanderung vor allem der jungen Leute in die Großstädte) kleiner, so dass 1900 noch 197 (ca. 3% der Bevölkerung), 1910 noch 155, 1925 noch 129 und 1932 nur noch 118 Juden in Burgsteinfurt lebten. Gerade die wirtschaftliche Entwicklung Burgsteinfurts in den Gründerjahren des 19. Jahrhunderts wurde von jüdischen Familien sehr forciert.
Vor dem Ersten Weltkrieg gab es vier größere jüdische Industriebetriebe in der Stadt:
Die Möbel- und Baustoffhandlung Cohen (Wasserstraße 10) wurde 1911 in die Straße „Neuer Wall“ verlegt.
Die Schirmfabrik Bendix an der Bahnhofstraße mit ihrem Verkaufslokal am Markt.
Die Lumpenhandlung M. C. Wertheim entwickelte sich nach dem Umzug zum neuen Bahnhof zu einer modernen Jutespinnerei und -weberei mit 260 Beschäftigten im Jahr 1933.
Im Jahr 1938 musste Alfred Wertheim seine Fabrik verkaufen, die dann als „Fischer & Co“ weitergeführt wurde.
Die Matzenfabrik Marcus an der Bahnhofstraße war vor dem Ersten Weltkrieg die größte Bäckerei Westfalens und galt als größte Matzenfabrik Europas.
Drei Persönlichkeiten sollen exemplarisch hier genannt sein, die neben vielen anderen die Anerkennung der Juden in Burgsteinfurt verdeutlichen:
Elias Marcus III. (1806 – 1893) war Sohn der alteingesessenen Marcus-Familie und der erste Lehrer der jüdischen Elementarschule Burgsteinfurt, deren vorzüglichen Ruf er begründete. 1841 wurde ihr das Zertifikat einer öffentlich-rechtlichen Lehranstalt zuerkannt. Elias Marcus war ein hochgebildeter Mann, der in Amsterdam seine Lehrtätigkeit weiterführte und sich als Verfasser von Lehrbüchern und als Herausgeber deutscher Klassiker einen Namen machte.
Moritz Cohen (1838 – 1922) war Inhaber eines Baustoffhandels. Er hat der Stadt Burgsteinfurt jahrzehntelang in wichtigen Ehrenämtern gedient: 16 Jahre lang als Stadtverordneter, 5 Jahre davon als stellvertretender Bürgermeister sowie zwanzig Jahre lang Direktor der Stadtsparkasse, ferner war er zeitweise auch Schöffe. Darüber hinaus war er Vorsitzender des Repräsentantenkollegiums der Synagogengemeinde und Mitglied des Schulvorstands der jüdischen Volksschule.
Hermann Emanuel (1869 – 1942) war der letzte Kantor und Lehrer der jüdischen Gemeinde. In seinem Leben spiegelt sich das Schicksal der gesamten jüdischen Minderheit Burgsteinfurts wider. Über seinen engeren Tätigkeitsbereich hinaus entwickelte er vielfältige Aktivitäten im kulturellen und sozialen Leben der Stadt. So wurde er auch 1909 zum ersten Leiter der kaufmännischen Fortbildungsschule, den heutigen Wirtschaftsschulen, ernannt. Am Ende aber wurde er 1942 zusammen mit den letzten sechs der in Burgsteinfurt verbliebenen Juden nach Theresienstadt deportiert.
Diese drei Persönlichkeiten sowie die vielen Funktionen, die jüdische Mitbürger in Vereinen und städtischen Institutionen vor 1933 hatten, machen deutlich, wie sehr sie in Burgsteinfurt integriert waren und zu einem wichtigen Teil der deutschen Gesellschaft geworden waren, bevor die Nationalsozialisten die Macht übernahmen.