Dokumentation Burgsteinfurt
Familie Julius Cohen, Moltkestraße 12
Julius Cohen (*1872), der älteste Sohn des hoch angesehenen Burgsteinfurter Bürgers Moritz Cohen (1838 – 1922), hatte das Gymnasium Arnoldinum bis zum Abitur 1890 besucht und war in die väterliche Firma eingetreten.
Er heiratete Rosa Gotthelf (*1875 in Borgholz / Höxter) und bekam mit ihr die beiden Töchter Charlotte, gen. „Lotte“, (*1904) und Emma, gen. „Emmy“ (*1906). Schon im Dezember 1909 starb Julius Cohen – vermutlich an Leukämie – und hinterließ die junge Mutter Rosa mit den beiden unmündigen Töchtern. Die beiden besuchten später die jüdische Volksschule und die Freie Mädchenschule in Burgsteinfurt. Nach dem Schulbesuch trennten sich ihre Wege und sie verließen Burgsteinfurt, während die Mutter zunächst in dem Haus, Moltkestraße 10, wohnen blieb.
In der Nacht des Novemberpogroms randalierten SA- und HJ-Trupps auch vor dem Haus der Familie Cohen, Moltkestraße, in der sich Rosa Cohen aufhielt; sie drangen auch in das Haus ein und Rosa Cohen floh – nach Aussagen des Bürgermeisters Walter Schumann vor dem Entnazifizierungsausschuss 1947 – Schutz suchend in sein Haus. Wenig später verkaufte sie Hals über Kopf das Haus weit unter seinem Wert und flüchtete in die Niederlande zu ihrer Tochter Lotte.
Lotte Cohen hatte nach ihrer Schulzeit eine Banklehre absolviert und im Jahre 1934 den Übersetzer Abraham, gen. „Bram“, Snatager aus Amsterdam geheiratet; das Ehepaar wohnte seither in Amsterdam und konnte nun der Mutter Rosa einstweilen Schutz bieten.
Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht im Mai 1940 war dieser Schutz aber nicht mehr gewährleistet. 1942 wurde Rosa Cohen zusammen mit Tochter Lotte und Schwiegersohn Abraham Snatager im inzwischen so genannten „Polizeilichen Zentralen Judendurchgangslager Camp Westerbork“ interniert und von dort ins Vernichtungslager Sobibor deportiert, wo Rosa Cohen am 7. Mai 1943, Charlotte und Abraham Snatager nach dem 9. Juli 1943 ermordet worden sind.
Emmy Cohen ging nach dem Besuch der Freien Mädchenschule im Jahre 1920 auf das Gymnasium Arnoldinum und legte dort im Jahre 1925 das Abitur ab – sie ist die einzige jüdische Abiturientin des Arnoldinums.
Danach studierte sie an der Technischen Hochschule Karlsruhe die Fächer Chemie und Mathematik und schloss das Studium 1927 mit dem Diplom ab. Anschließend setzte sie das Studium für das Lehramt unter Hinzuziehung des Fachs Physik an der Universität Frankfurt fort, das sie 1930 erfolgreich abschloss. Sie absolvierte mit Erfolg ihre Referendarzeit, die sie mit Bestehen des 2. Staatsexamens im September 1932 beendete. Im Oktober 1932 wurde sie zur Studienassessorin ernannt. Allerdings war ihr schon damals wegen ihrer Religionszugehörigkeit keine Anstellung mehr an einer staatlichen Schule möglich, so dass sie als Lehrerin an jüdischen Privatschulen in Frankfurt, u.a. am Philanthropin sowie an der von Martin Buber 1932 initiierten „Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung“ unterrichtete. Im August 1936 heiratete Emmy den Rechtsanwalt Hugo Marx (*1886) in der Synagoge von Frankfurt, und das Ehepaar zog nach Karlsruhe, wo Hugo Marx noch als Anwalt praktizierte; erst am 30. November 1938 wurde ihm die Zulassung als Anwalt entzogen.
Am 9. November 1938 war er aber schon in Karlsruhe in „Schutzhaft“ genommen und – zusammen mit über 200 Karlsruher Juden – in das KZ Dachau verbracht worden. Am 20. November 1938 kam er – allerdings mit der Auflage, Deutschland schnellstens zu verlassen – aus dem KZ frei. Als er am Abend der Entlassung bei Emmy anrief, um ihr seine Entlassung mitzuteilen, bekam die gerade Schwangere einen Schock mit der Folge, dass sie eine Fehlgeburt erlitt. Im März 1939 reisten die beiden nach England aus, wo sie in Golders Green, London, eine Unterkunft fanden. Emmy bekam bald eine feste Anstellung bei den Brimsdown-Chemiewerken in London.
Nicht zuletzt aufgrund dieser festen Anstellung von Emmy erhielten sie und ihr Mann Hugo nach Kriegsende die englische Staatsbürgerschaft. Im Januar 1948 stellte man eine schwere Herzerkrankung bei ihm fest, und im Februar 1951 starb Hugo Marx in London. Gut zwei Jahre später lernte Emmy bei Bekannten in der Schweiz den seit 1949 verwitweten Zahnarzt Dr. Sylvain Dreyfus kennen; im August 1953 heirateten sie, und Ende Oktober zog Emmy zu ihrem Ehemann nach Lausanne. 1956 wurde Emmy im Zuge der beamtenrechtlichen Entschädigungsregeln rückwirkend zum 1. April 1950 als Studienrätin und später als Oberstudienrätin eingestuft, so dass sie materiell bis zum Lebensende abgesichert war. Sylvain Dreyfus starb im Jahre 1960. Von 1960 bis 1967 war Emmy Vorsitzende der Lausanner Sektion der „Women International Zionist Organisation“. In den Folgejahren stand sie in engem Kontakt zu ihren Kusinen Elsbeth Goldschmidt-Cohen (Nahariya/Israel) und Amely Weinberg-Cohen (Alphen a.d. Rijn/NL).
Ihren Lebensabend verbrachte Emmy Dreyfus in einem Lausanner Altenheim, wo sie im Jahre 2005 im Alter von 99 Jahren gestorben ist.