Dokumentation Burgsteinfurt

Familien Julius und Karl Steinmann, Markt 1

Julius (*1888 in Burgsteinfurt) war der älteste Sohn des Steinfurter Geschäftsmannes Moses Steinmann (*1864) und seiner Ehefrau Amalie, geb. Hirsch (*1865). Julius hatte 5 Brüder: Willy (*1893) Hugo (*1894), Karl (*1896), Erich (*1898) und Paul (*1901) und 2 Schwestern: Henny (*1890) und Erna (*1899). Abgesehen von Hugo, der schon zweieinhalb Monate nach seiner Geburt starb, haben alle Steinmann-Kinder die jüdische Volksschule in Burgsteinfurt besucht, und Julius, Karl, Erich und Paul waren alle kurzzeitig am Gymnasium Arnoldinum, haben die Schule aber vorzeitig verlassen und gegebenenfalls jeweils den Schulabschluss an der jüdischen Volksschule gemacht.

Moses Steinmann hatte vor seiner Heirat seine Dienstzeit beim preußischen Militär absolviert und war Mitglied des Kriegervereins von Burgsteinfurt. Seine Söhne Julius, Willy, Karl und Erich haben aktiv am Ersten Weltkrieg teilgenommen: Willy ist schon 1915 in Frankreich gefallen. Julius und Karl wurden mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, und auch Erich hatte den Krieg überlebt; nur Paul nahm – vermutlich aus Altersgründen – nicht aktiv am Krieg teil.

Nach dem Krieg war Julius Geschäftsführer des väterlichen Geschäfts „M. Steinmann, Burgsteinfurt i. W.“ geworden. Er heiratete Henriette van Gelder aus Hengelo und bekam mit ihr die Söhne Kurt (s.u.) und Manfred (s.u.).

Spätestens am 1. April 1933, am Tag des so genannten „Judenboykotts“, erlebten die Steinmanns in Burgsteinfurt, dass sie in dem kleinen Städtchen nicht mehr erwünscht waren. Das dürfte der Grund dafür gewesen sein, dass Henriette schon im Mai 1933 mit den beiden Söhne nach Hengelo floh, weil sie sich und ihre Söhne in den Niederlanden vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten geschützt fühlte, und Julius ist ihnen am 1. August 1933 gefolgt. Sie hatten sich jedoch – wie viele andere Juden – getäuscht:

Nach dem 1. Juli 1942 wurde die Familie Julius Steinmann – vermutlich – über Kamp Westerbork in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und dort wurden alle am 21. Mai 1943 ermordet.

Henny, Karl, Erich, Erna und Paul Steinmann waren nach dem Ersten Weltkrieg – wie viele andere Bürger Burgsteinfurts auch – ins Ruhrgebiet gezogen, um dort ihr Glück zu machen.

Karl hatte beim Kaufhaus Althoff in Essen (seit 1920 mit der Rudolf-Karstatt-AG fusioniert) eine Stelle gefunden, auf der er bis zum Abteilungsleiter aufstieg; er hatte seine Frau Rosalie, geb. Cohen (*1899) aus Bonn, kennengelernt und wohnte mit ihr und dem Sohn Willi (*1923) in Essen.

Ab Ende der 1920er Jahre wohnten sie in Bottrop, von wo aus sie Anfang der 1930er Jahre ins elterliche Haus nach Burgsteinfurt zogen; dort besuchte Willi ab 1933 die jüdische Volksschule. Karl versuchte nach dem Tod des Vaters im März 1933 und der Flucht der Familie seines Bruders Julius das väterliche Geschäft zusammen mit seiner Mutter weiter zu führen, was angesichts der rapiden Verschlechterung der Lebensverhältnisse der jüdischen Bürger auch in Burgsteinfurt nicht gelingen konnte. Im Juni 1936 kam die Tochter Hannelore (s.u.) in Burgsteinfurt zur Welt und Sohn Willi feierte im Oktober 1936 in der Burgsteinfurter Synagoge seine Bar Mizwah. Ende 1936 war Mutter Amalie gezwungen, das Haus zu verkaufen. Die Übergabe an die neuen Besitzer war auf den 1. März 1937 festgelegt, wobei der Kaufvertrag für Amalie Steinmann noch bis 1. März 1940 Wohnrecht auf einige Zimmer vorsah. Karl und seine Familie aber hatten ausziehen müssen.

Im Jahr 1937 soll Karl Drohbriefe geschickt haben, um 2000 Mark zu erpressen; zuerst an Alfred Wertheim, Burgsteinfurt (s.o. bei Ursula Wertheim) und wenig später an Moritz Hertz, Borghorst. Nach dem zweiten Drohbrief wurde er am 13. September 1937 von der Burgsteinfurter Polizei angeblich dieses Verbrechens überführt und im Dezember 1937 von einem Gericht in Münster zu einer Gefängnisstrafe von 18 Monaten verurteilt. Die betreffenden Gerichtsakten sind zwar nicht auffindbar, aber ein Lebenszeichen von Karl ist tatsächlich erst anderthalb Jahre später wieder nachweisbar. Die wirtschaftliche Existenz der Familie Karl Steinmann und seiner Mutter Amalie in Burgsteinfurt war Ende 1937 in jedem Fall ruiniert, und nun verließen die Steinmanns für immer Burgsteinfurt: Vater Karl ging ins Gefängnis (wo er inhaftiert war, ist aber auch nicht aktenkundig). Sohn Willi brachte Ende Oktober oder Anfang November bei Nacht und Nebel seine kleine Schwester Hannelore mit dem Fahrrad über die Grenze in ein niederländisches Kloster; von November 1937 bis April 1939 war er in mehreren Hachscharah-Lagern in Berlin und Brandenburg, wo er sich auf die Ausreise nach Palästina vorbereitete, die er im April 1939 antrat. Seine Großmutter Amalie zog Anfang Dezember 1937 zur Familie ihrer ältesten Tochter, Henny Steinweg, geb. Steinmann, in Dortmund-Wickede, wo sie im Juni 1938 gestorben ist.

Mutter Rosalie zog im Dezember 1938 nach Köln. Im Februar 1939 verkaufte sie die letzte Immobilie der Steinmanns in Burgsteinfurt, einen Lagerplatz mit Schuppen, vermutlich, um mit dem Verkaufserlös die Auswanderung von Willi nach Palästina zu finanzieren. Im Juli 1939 fand sich ihr Mann Karl bei Rosalie Steinmann in Köln ein. Einer Postkarte, die er am 19. November 1939 an seinen Bruder Erich geschrieben hat, der sich mit seiner Frau in Shanghai befand, auf dem Weg in die USA, ist zu entnehmen, dass Karl in Köln Arbeit gefunden hatte und dass sie nicht an eine Auswanderung denken könnten. Im Jahre 1940 veranlassten allerdings beunruhigende Nachrichten über die Behandlung der Tochter in dem niederländischen Kloster die Eltern, Hannelore zu sich nach Köln zu holen.

Henny Steinweg, seit 1938 verwitwet, floh im Oktober 1941 über Kuba in die USA. Sie starb im Dezember 1958 in New York.

Erich Steinmann und seine Frau fanden von Shanghai aus ebenfalls in die USA, wo sie sich in Philadelphia niederließen. Nach dem Tod seiner Frau Mathilde im Jahre 1962 kam Erich 1967 aus den USA nach Deutschland und wohnte bei seinem Neffen Willi Steinmann, der schon 1964 mit Frau und Tochter aus Israel nach Essen zurückgekehrt war. Erich Steinmann starb Jahre 1975 in Essen, sein Neffe Willi im Jahre 1987.

Erna Schönemannn, geb. Steinmann, die jüngste Tochter von Moses und Amalie Steinmann hatte den Bruder von Erichs Frau, Alfred Schönemann aus Padberg, geheiratet, mit dem sie nach Dortmund gezogen war; sie hatten eine Tochter, Elfriede (*1923). Alle drei wurden am 29. Juli 1942 von Dortmund in das KZ Theresienstadt deportiert, wo Ernas Mann Alfred ermordet wurde. Sie selbst und ihre Tochter wurden von Theresienstadt noch am 9. Oktober 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz weiter deportiert und dort wenig später ermordet.

Paul Steinmann schließlich, jüngstes der Steinmannkinder, war mit seiner Frau Margarete, geb. Zacharias aus Dortmund (*1904), nach der Reichspogromnacht nach Deventer in die Niederlande geflohen. Nach dem 1. Juli 1942 wurden sie via Kamp Westerbork ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo sie im September, bzw. November 1943 ermordet wurden.

Karl Steinmann, seine Frau Rosalie und ihre Tochter Hannelore wurden am 20. Juli 1942 vom Bahnhof Köln-Deutz nach Minsk deportiert und am 24. Juli 1942 im benachbarten Vernichtungslager Maly Trostinez ermordet.