Dokumentation Lengerich

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Familie Meyer

Emilie und Helene Meyer 1910, Haus Meyer rechts, Slg. F. Hilge

Emilie und Helene Meyer 1910, Haus Meyer rechts, Slg. F. Hilge

Die Familie Meyer lebte in der Lengerich, Altstadt 20 und 22 (vormals Stadt Nr. 4 und 4a). 1830 kaufte die Familie das Haus von Windmöller.

Familie Meyer betrieb einen Handel mit „Ellen- und Kurzwaren“. In einem Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe in Lengerich (Runderlass des Reichsministers des Inneren vom 14.7.1938) wird das Geschäft Meyer als Einzelhandelsgeschäft geführt und als Gegenstand des Gewerbes „Verkauf von Kolonial- und Kurzwaren sowie Obst, Gemüse, Südfrüchte und Fisch“ genannt. Es handelte sich um ein einstöckiges Fachwerkhaus. Unten im Haus befand sich das Geschäft. Die Zimmer im 2. Stock waren ausgebaut.

Daniel Meyer (*30.4.1857 in Lengerich) war der älteste Sohn von Meyer Daniel Meyer. Er heiratete am 21.2.1899 Julchen Eichenwald (*21.6.1869). Sie war die Tochter von Itzig Eichenwald und Therese Coßmann aus Billerbeck.

Daniel und Julchen (auch Julie genannt) hatten zwei Töchter. Emilie wurde am 20.7.1901 und Helene am 7.3.1906 in Lengerich geboren. Am 5.3.1913 starb Daniel Meyer. Das Geschäft führte Julchen Meyer mit ihren beiden Töchtern weiter.

Emilie heiratete am 6.9.1933 David Jacobs , geb. am 4.1.1896 in Sögel (Emsland) und verließ Lengerich. Das Ehepaar hatte zwei Söhne und wohnte bis zu ihrer Deportation in Sögel. Nachdem Emilie Lengerich verlassen hatte, führten Julchen und ihre Tochter Helene das Geschäft in Lengerich alleine weiter.

Es wird berichtet, dass Erich Gutmann, als er 1935 eine Woche lang im Keller des Rathauses in „Schutzhaft“ saß, von Helene Meyer mit Broten durch das Kellerfenster der Gefängniszelle versorgt wurde. Diese Begebenheit ist ein Hinweis darauf, dass sich die Familie Meyer eng mit der jüdischen Gemeinde in Lengerich verbunden fühlte.

Schon einige Zeit vor der Reichspogromnacht 1938 übernachteten Helene Meyer und ihre fast 70 jährige Mutter nicht mehr in ihrem Schlafzimmer, sondern verkrochen sich aus Angst vor den Nationalsozialisten in einem Schlupfloch im Haus. Es war die Angst vor SA-Leuten, die, wenn sie in der Altstadt an dem Geschäft der Familie Meyer vorbeimarschierten, das Lied „Hängt die Juden, stellt die Bonzen an die Wand“ anstimmten. Am Abend des 10. November mussten Julchen und Helene übelste Pöbeleien über sich ergehen lassen, bevor ihre Wohn- und Geschäftsräume geplündert wurden. Die Fachwerkwandflächen des Meyer’schen Hauses wurden eingetreten. Träger wurden mit Seilen und Rammbock zum Einsturz gebracht. Das Haus wurde so stark beschädigt, dass die Polizeiverwaltung in Lengerich später die gesamte Vorderfront aus Sicherheitsgründen abreißen ließ.

Das Meyer’sche Hausgrundstück mit dem stark zerstörten Fachwerkhaus erwarb im Januar 1939 der Schlachter L..

Julchen und Helene Meyer fanden mit anderen Lengericher Juden vorübergehend eine Bleibe im Haus Salomon Kaufmann an der Bahnhofstraße 17. Im Oktober 1939 zogen Julchen und Helene Meyer nach Sögel, wo sie bei Tochter und Schwester Emilie Meyer und ihrem Mann David Jacobs Unterschlupf fanden.

Helene Meyer heiratete am 18.9.1940 Rudolf Sax, geb. am 29.01.1907 in Aschendorf/Emsland. Beide wohnten bis zu ihrer Deportation in Sögel. Am 13.12.1941 wurden Julie und Helene zusammen mit ihrem Ehemann Rudolf Sax und den anderen Verwandten Emilie Jacobs, geb. Meyer, David Jacobs, ihre Söhne Fritz Josef Jacobs und Daniel Jacobs ab Münster-Osnabrück-Bielefeld ins Ghetto nach Riga deportiert.

Helene Sax wurde im August 1943 und Rudolf Sax im Oktober 1943 in Auschwitz ermordet.

Emilie Jacobs und die Söhne Fritz Josef und Daniel wurden in Riga ermordet. Für Emilie Jacobs und Helene Sax wurden 2018 – zusammen mit David Jacobs, Fritz Josef Jacobs, Daniel Jacobs und Rudolf Sax – in Sögel Stolpersteine verlegt.

Zusammenstellung: Dr. Alois Thomes