Dokumentation Borghorst

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Anton-Wattendorff-Straße 24

Hier lebte die Familie Heimann.
Albert Heimann (*1881) bewohnte mit seiner Frau Frieda (*1894 in Berge) und den vier Kindern die um die Jahrhundertwende erbaute Villa.

Geschwister Heimann

Geschwister Heimann 1950

Albert Heimann war Viehhändler und ein angesehener Bürger der Stadt. Im Ersten Weltkrieg ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II war er zudem Mitglied im örtlichen Kriegerverein. Die Bürgerschützen ernannten ihn zu ihrem Schützenkönig. Stets war er davon überzeugt, aufgrund seiner Reputation könne ihm nichts passieren.

Frieda Heimann entstammte der bedeutenden jüdischen Familie Simons in Quakenbrück. Bei der Bewirtschaftung der 12-Zimmer Villa und des 150 Bäume umfassenden Gartens halfen ihr zwei  Hausmädchen, außerdem waren ein Chauffeur und zeitweise ein Gärtner beschäftigt. Menschen, die sie kannten, beschrieben Frieda Heimann als eine sehr warmherzige und liebenswürdige Frau.

Bereits im Jahr 1937 wurde es Albert verboten, sein Geschäft zu betreiben. Lange Zeit war er nicht davon zu überzeugen, es sei besser und sicherer, das Land zu verlassen.

Während der Pogromnacht am 9. November 1938 kam es in der Villa zu erheblichen  Zerstörungen, die das Haus unbewohnbar machten. Frieda Heimann bat darum, die zerstörten Lebensmittel doch zumindest für die Winterhilfe zu verwenden. Doch wurde sie vom randalierenden Mob nur barsch zurechtgewiesen: „Wir brauchen keine Winterhilfe von Juden.“ Albert Heimann wurde gezwungen, seinen Besitz über Vorkaufsrecht an die Gemeinde Borghorst abzutreten. Es folgte der Umzug an die Münsterstraße 36 ins ehemalige Elternhaus. Doch auch dieses Haus ging in den Besitz der Gemeinde über.
In einem so genannten „Vertrag“ mit der Gemeinde wurde der 1. Mai 1940 als Räumungstermin festgeschrieben. Gegen Zahlung einer monatlichen Miete von 50 Reichsmark gewährten die Behörden Wohnrecht bis zum 1. August 1940.

Albert und Frieda wurden im Dezember 1941 in das Ghetto Riga deportiert. Im November 1943 wurde Albert in Auschwitz ermordet, seine Frau Frieda im Jahr 1944.

Der älteste Sohn Wilhelm Otto Heimann, genannt Bill, (*1915) besuchte als einer der wenigen jüdische Schüler das Gymnasium Arnoldinum in Burgsteinfurt. Zunächst strebte er an, Jura zu studieren, absolvierte  dann jedoch im Jahr 1934 seine Banklehre an der Jüdischen Privatbank von Simon Hirschland in Hamburg.
Er lernte intensiv Englisch, was ihm sehr half bei seiner Entscheidung, im Jahr 1936  nach Südafrika zu emigrieren. Unterstützung bekam er von einem Onkel, der bereits in Johannesburg lebte und auch die Auswanderung der Eltern organisieren wollte, Albert und Frieda jedoch lehnten ab.

In Südafrika musste Bill von vorn anfangen. Zunächst arbeitete er als Buchhalter, dann für die Caltex- Öl-Gesellschaft. Er heiratete Lotte Rosenberg, die ebenfalls aus Deutschland geflüchtet war. In der Armee Südafrikas diente er aufgrund einer Verletzung nur für kurze Zeit. Später gründete er sein eigenes Textil-Handelsunternehmen, dann leitete er ein Konsortium Europäischer Fabrikanten, die in Südafrika eine Baumwoll-Spinnerei betrieben. 1970 begann er mit seinem Kunststudium einen neuen Lebensabschnitt.
Seine Frau Lotte starb 1982. Bill Heimann heiratete 1995 seine zweite Frau Rosemarie, mit der er bis zu seinem Tod zusammenlebte.

Anlässlich der Stolpersteine-Verlegung vor seinem Elternhaus sandte Bill Heimann eine Grußbotschaft: „Das grausame Schicksal meiner Eltern lässt mir keine Ruhe. Ich mache mir ständig Vorwürfe, dass ich ihr Leben nicht retten konnte.“ Bill Heimann starb im Jahr 2008 in Johannesburg.

Ottilie Johanna Heimann (*1916) besuchte die höhere Mädchenschule in Burgsteinfurt. Ab 1933 wurde der Schulbesuch für jüdische Kinder zunehmend unerträglicher. Im Jahr 1935 war sie gezwungen, den Schulbesuch abzubrechen und absolvierte insgeheim im Hause der Schneidermeisterin Agnes Heilmann eine Schneiderlehre in Borghorst. Die Namensähnlichkeit mag mit dazu beigetragen haben, dass keine größeren Schwierigkeiten auftraten. Man kann sicher davon ausgehen, dass noch weitere Personen über die Identität der Töchter aus der jüdischen Familie Heimann im Hause Heilmann Bescheid wussten.
Nach abgeschlossener Schneiderlehre zog Ottilie im Mai 1936 als Schneidergesellin nach Krefeld. Dort traf sie Fritz (Fred) Windmueller aus Beckum, den sie 1938 heiratete.
Die Jungvermählten waren gerade zwei Monate verheiratet, als sie an Bord der SS Volendam über Holland direkt nach Amerika emigrierten. Die Einreise wurde von den Verwandten ihres Mannes – Familie Windmueller in Richmond, Virginia – ermöglicht. Ein Onkel übernahm die Bürgschaft für das Paar. Ohne diese Bürgschaft, das so genannte „Affidavit“, wäre eine Einreise in die USA nicht möglich gewesen.
Ottilie arbeitete zunächst in einer Änderungsschneiderei, hatte dann aber ihr eigenes Atelier. Nach dem Abschluß ihres Studiums (BA Fine Arts) in Richmond war sie von 1953 bis 1982 Professorin für Mode-Design an der Virginia Commonwealth University.
Schon 1962 besuchte sie gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Sohn Stephen Windmueller Borghorst und die Familie ihrer Schneidermeisterin Heilmann. Zahlreiche Reisen führten nach Europa, vor allem in die Schweiz. Sie starb am 12. Dezember 2001 und hinterließ eine Stiftung zugunsten des Kunstmuseums Virginia.

Toni Bertha Heimann (*1918) besuchte gemeinsam mit ihrer Schwester Ottilie die höhere Mädchenschule in Burgsteinfurt. Zuletzt mussten beide allein in der letzten Reihe sitzen, keine der Mitschülerinnen sprach mit ihnen. Auch Toni war gezwungen, den Schulbesuch abzubrechen und absolvierte mit ihrer Schwester Otti zusammen ihre Schneiderlehre im Hause von Agnes Heilmann. Am 16. April 1939 emigrierte Toni über Holland nach England.
Dort lernte sie ihren späteren Ehemann Kurt Stern kennen, der aus Berlin stammte. Beide siedelten im Jahr 1946 in die USA über. 61 Jahre war sie mit Kurt Stern verheiratet. Sie besuchte Borghorst vor einigen Jahren, nicht aber ihr ehemaliges Elternhaus. Toni Heimann lebte in Richmond/Virginia, dann in New Jersey und heute in der Nähe von Washington.

Die jüngste Tochter Elsbeth Heimann (*1924) besuchte von 1934 bis 1938 die katholische, damals von Schwestern geleitete, Töchterschule in Borghorst. Im Juni 1939, kurz nachdem ihre Schwester Toni Borghorst verlassen hatte, wurde sie im Alter von 15 Jahren mit einem Kindertransport nach England geschickt.
Sie erlernte den Beruf der Krankenschwester und emigrierte nach Kriegsende von England aus in die USA, gemeinsam mit ihrer Schwester Toni und deren Ehemann.
Elsbeth heiratete Eugine Laemmlin aus der Schweiz. Sie starb im Jahr 1956 sehr jung im Alter von 32 Jahren, vermutlich an Leukämie.

 

Details zu den Personen in der Datenbank:
Albert Heimann | Frieda Heimann | Wilhelm Otto Heimann | Ottilie Johanna Heimann | Toni Bertha Heimann | Elsbeth Heimann

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